Antiautoritäres Malen anno 1973

  • Ich besuche die 3. Klasse, bin Klassenprimus, nur für Sport, Musik und Malen kann ich mich so gar nicht erwärmen. Im dritten Schuljahr bekommen wir eine neue Kunstlehrerin, Frau Winterhoff. Als sich unsere Blicke zum ersten Mal treffen, ist sofort klar, dass unsere Beziehung eine der kühleren Art werden wird. Eine Situation, an der sich auch nichts ändert, nachdem ich einige der bescheuerten "Schatzkarten" beim vorsichtigen Anflämmen der Bildränder "versehentlich abgefackelt habe.


    Eines Tages überrascht die Lehrerin uns Kinder mit einem Mal-Thema, mit dem wir niemals gerechnet hätten. "Heute dürft ihr malen, was ihr wollt!", lautet die Devise. Ein Auswuchs der antiautoritären Erziehung, die Mitte der 1970er zuweilen seltsame Blüten trug. So auch an jenem Tag und zwar in Form meines Bildes. Wenn ich malen KÖNNTE, wäre es für mich kein Problem, z. B. die Zeitmaschine zu zeichnen (den Film hatte ich kurz zuvor gesehen und war davon fasziniert), aber ich kann es leider nicht. So schleiche ich unschlüssig durchs Klassenzimmer und suche bei meinen Freunden nach Inspirationen.


    Autos, Ritter, Häuser, Flugzeuge usw., der ewig gleiche Mist und alles grottenschlecht. Ziemlich arrogant für einen Neunjährigen, der nicht mal das zustande bringt. Und immer, wenn ich von einer Runde zurückkomme, sieht mich bedrohlich mein gähnend leeres DIN A3-Blatt an...


    To be continued, sonst wird der Beitrag womöglich zu lang ...


    Teil 2:


    Inzwischen albere ich mit meinen Lieblingskumpels rum und vergesse die Zeit. Ca. fünf Minuten vor Unterrichtsschluss finde ich mich final an meinem Platz ein und will nun "den Stier bei den Hörnern packen", also mein Bild malen. Ich ergreife den Wachsmalstift und ziehe zwei halbwegs parallele Striche übers Blatt. Diagonal von links unten nach rechts oben. Mmmh ..., könnte ein Baumstamm sein.


    Um das Ganze fotorealistischer wirken zu lassen, zeichne ich oben und unten ein paar Äste ein. Uninspirierte Striche also. Es liegt dort ein Baum. Weil mir das allerdings etwas dürftig erscheint, male ich insgesamt fünf Strichmännchen (wie sie vielleicht ein Dreijähriger malen würde) dazu. Drei oben, zwei unten. Abschließend zeichne ich von jedem Strichmännchen bis zum Baum eine gebogene Linie. Feddich [jubelier]!


    To be continued ...


    Teil 3:


    Tja, und dann nähert sich die Lehrerin, die schließlich mitbekommen hat, dass ich praktisch gar nix gemacht habe. "Was soll DAS DENN darstellen ...?!?", fragt sie mich mit leicht erboster Miene. "Das sind fünf Baumfäller, die einen Baum gefällt haben. Und den pinkeln sie jetzt an." Meine Freunde lachen, Frau Winterhoff nicht.


    Jetzt, 2022, frage ich mich, ob es vielleicht Picassos humorvoller Geist gewesen ist - denn er ist am 8. April 1973 gestorben -, der damals in mich gefahren war. Er galt/gilt immerhin auch als Meister der einfachen Linie.


    Gruß, Tullus

    Des Waldes Dunkel lockt mich an ...

    Einmal editiert, zuletzt von Nightmage () aus folgendem Grund: 2 Beiträge von Tullus Lowtrack mit diesem Beitrag zusammengefügt.

  • Gleich vorab: Ich mag deinen Schreibstil! Deine Story liest sich so gut und spannend! Danke dass du diese mit uns geteilt hast!

    Besonders mag ich den Teil, in dem du dich wegen deiner Arroganz als 9 Jähriges Kind selbst hops nimmst [rofl] Das ist einfach so wahr, wie wir damals noch dachten, wir wären ja ach so schlau. :))


    Ach so und btw:

    male ich insgesamt fünf Strichmännchen (wie sie vielleicht ein Dreijähriger malen würde) dazu.

    Ein Dreijähriger zeichnet wohl eher noch Kopffüßer, also stell dein 9-Jähriges Ich nicht so unter den Scheffel 8o

  • Gleich vorab: Ich mag deinen Schreibstil! Deine Story liest sich so gut und spannend! Danke dass du diese mit uns geteilt hast!

    Besonders mag ich den Teil, in dem du dich wegen deiner Arroganz als 9 Jähriges Kind selbst hops nimmst [rofl] Das ist einfach so wahr, wie wir damals noch dachten, wir wären ja ach so schlau. :))


    Ach so und btw:

    Ein Dreijähriger zeichnet wohl eher noch Kopffüßer, also stell dein 9-Jähriges Ich nicht so unter den Scheffel 8o

    WOOOWWW, das flasht mich jetzt aber!


    DANKE! Aber ja, ich mache die Dinge, die ich mag und/oder die mir liegen, immer so gut wie ich kann. Mit Leidenschaft, kann man sagen. Ich gehe völlig darin auf und werde regelrecht zum Maniac. Ich habe bisher drei Bücher geschrieben, allerdings nur eines veröffentlicht, weil ich ..., nee, das führte jetzt zu weit und ist zu komplex.


    Jedenfalls zeichne ich mit der gleichen Hingabe und Intensität, mit der ich schreibe, Rad fahre/Räder baue, wunderschöne Holz-Kulis drechsle usw. bzw. mit der ich dies getan habe, denn momentan befinde ich mich im Zeichen-Modus. Es ist jetzt 1.53 Uhr und ich mache eine Cappu-/Zigarettenpause, die ich dazu nutze, mich ein wenig um die (für mich völlig neue oder wiedergewonnene) Korrespondenz zu kümmern.


    Ich muss lachen, wenn ich an das wirklich sehr schöne "Beeren-Mädel"-Bild denke, das mir als Inspiration diente. Denn das, was sich fünf Meter weiter auf dem Karton abzeichnet, hat - wie bereits im Mein-Lieblingsbild-Thread angekündigt - rein gar nix mehr mit der Inspirationsquelle gemein. Zum Auftragsmaler tauge ich jedenfalls nicht, da sähe der gewünschte pittoreske Bauernhof schnell wie ein AKW aus ...


    So, ich muss zeichnen ...


    Gruß, Tullus

  • Das ist schön, dass dich das so erfreut hat :)) <3

    Da bin ich ja mal gespannt, wie du dich dann freust, wenn wir auf deine Bilder reagieren :D


    Das ist wunderschön, dass du dich so in deine Projekte vertiefen kannst! Genau das braucht ein Hobby doch, Freude und Hingabe!

    Und drei Bücher, wow! [ups]

    Ich möchte auch ne Geschichte schreiben/zeichnen, bin da aber noch in den Anfängen... Aber es wird ;)

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